25/04/2022

Meine kleine Heimatzeitung

 Was ist aus meiner kleinen Heimatzeitung geworden? Sie gehörte doch irgendwie dazu, zu meinem Leben. Sie war Mitglied unserer Familie. Mein Großvater hatte ihre Vorgängerin, die "Freie Presse" abonniert, meine Eltern waren viele Jahre lang Leser des gleichen Blattes. Das gehörte sich so als Mitglied der SPD. Und ich, ich bin nunmehr seit Anfang der 70er Jahre, mit einem Jahr Unterbrechung Abonnent der NW. Sie wissen schon, als SPD-Mitglied gehört sich das so. Dann aber kam der große Bruch. Die SPD ist "aus mir ausgetreten" wie Albrecht Müller es einmal formulierte. Ich kann mich noch erinnern, wie ich eines schönen Frühlingstages in der Sonne saß, und mich langsam das Gefühl beschlich, alleingelassen worden zu sein, alleingelassen von meiner Partei im Kampf gegen die soziale Kälte des Neoliberalismus. 2002 hatte ich noch hoch engagiert Wahlkampf gemacht, war praktisch jeden Tag auf der Straße, hatte Plakate geklebt, Flyer verteilt, damit Schröder Kanzler bleiben konnte.

 Jetzt saß ich auf dieser sonnenbeschienenen Bank und begann zu frösteln. Gerhard Schröder, mein Bundeskanzler bastelte an seinen neuen Sozialgesetzen. Menschen sollten fortan für einen Euro pro Stunde arbeiten, sie sollten, egal was sie einmal gelernt hatten, jeden Job annehmen, der ihnen angeboten wurde, egal zu welchem Lohn, egal an welchem Ort dieser Republik, sie sollten selbst für ihre Rente nach einem langen Arbeitsleben vorsorgen, mit mindestens fünf Euro pro Monat. Nach über einem Jahr Arbeitslosigkeit wurde ihnen, egal wie lange sie geschuftet hatten und in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hatten, mit einem, dem sogenannten HartzIV-Satz abgespeist werden. Die Arbeitnehmer wurden von meiner Partei und von meinem Kanzler zu Arbeitssklaven degradiert.

Ich habe dann noch eine Weile in meiner Partei, der SPD gegen diesen sozialen Kahlschlag gekämpft. Als ich dann merkte, daß in den Gremien plötzlich die Ansicht vorherrschte, alle Arbeitslosen seien verantwortungslose Schnorrer (der damalige Vorsitzende der Partei, Müntefering: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" habe ich schweren Herzens die einzig mögliche Konsequenz gezogen und habe die Partei, die aus mir ausgetreten war nach dreißig Jahren Mitgliedschaft verlassen.

Meine Zeitung hatte flugs die Wende der SPD, hin zum Neoliberalismus mitvollzogen. Ich habe versucht mit ihr in eine Diskussion zu kommen, habe Briefe geschrieben, habe Beschwerde geführt und bin verlacht worden. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der heutigen Zeit fällt mir auf. Etwas, das Monate zuvor noch undenkbar war, war plötzlich Staatsmeinung und wer dagegen ansprach, anschrieb, ankämpfte, wurde schnell zur Persona Non Grata. Für das Alles haben wir dann 2008 - 2009 alle bitter bezahlt. Und plötzlich war niemand mehr zu finden, von den Mietmäulern und den Mietfedern. Die seit Jahren hofierten "Investoren" wurden über Nacht zu Heuschrecken.

Ich blieb meiner kleinen Zeitung treu - weniger aus Überzeugung, mehr, weil es zu den Kommunalnachrichten keine echte Alternativen gab. Meine Informationen zur großen weiten Welt holte ich mir schon längst aus dem Internet, las viele Bücher. Ich blieb ihr trotzdem treu, weil eine Zeitung, also eine richtige Zeitung gedruckt auf Papier, sie gehört einfach dazu : Morgens ein, zwei Tassen Kaffee und das rascheln der Seiten, beim umblättern. Jeden Monat ist mir dieses Stück Lebensgefühl 43,90 Euro wert. 

 Das macht im Jahr knapp 527 Euro, liebe Redaktion, etwas über einen halben Tausender, für ein mehr oder weniger zusammengeschustertes Blatt: Die Weltnachrichten liefern die Agenturen, der Deutschlandteil wird im etwas mehr als hundert Kilometer entfernten Hannover, beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, das der Madsackgruppe zugehörig ist verfasst. Nur die kommunalen Berichte werden wirklich noch in der Redaktion in Bielefeld zusammengeklöppelt und haben häufig den Anschein und die Qualität eines Schulaufsatzes.

Nun ist es Zeit zu gehen. Das Abo ist gekündigt, der Bankeinzug ebenfalls, aber die kleine Heimatzeitung will mich nicht gehen lassen. Drei weitere quälende Monate muss ich den Briefkasten leeren, die Schlagzeilen überfliegen und manchmal, wenn mir gänzlich unglaubliche, meist kommentierende Artikel, ins Auge springen, dann kann ich nicht anders und lese. Und dann weiss ich, dass ich den richtigen Schritt gemacht habe. Immer mehr setzt sich der Einfluss der angeblich bürgerlichen, liberalen, in Wirklichkeit aber stramm rechtskonservativ orientierten Madsackgruppe durch.

Für den Krieg in der Ukraine ist ausschliesslich Russland verantwortlich, so trommelt das Blatt, dass früher einmal mein Blatt war, jeden Morgen in mein Gehirn. Waffen müssen her um Putin zu schlagen, oder wie unsere Aussenministerin sagt: Russland zu ruinieren. Das dieser Krieg bereits seit 2014 herrscht, dass die Ukraine mit schwerer Artillerie auf die eigene Bevölkerung schiesst, Bomben aus Flugzeugen abwirft, auf Schulen, Kindergärten und Wohnsiedlungen seit dem 14. April 2014 wird von meiner kleinen Heimatzeitung, wie von allen anderen Blättern, von Fernsehen und Rundfunk einfach nicht gemeldet. Nach der Logik dieser "Journalisten" existiert nur das, was von ihnen vermeldet wird. Eine Wirklichkeit gedruckt auf Papiergesendet in Bits und Bytes. Aber die Toten , 14.000 an der Zahl seit 2014, die Verletzten, die Traumatisierten sind nicht auf billiges Zeitungspapier gedruckt - sie existieren, leiden.

Zensur ist nicht nur das Streichen unliebsamer Nachrichten, Zensur ist auch weglassen. Und deshalb, liebe kleine Heimatzeitung will und werde ich euch nicht mehr mit meinem monatlichen 43,90 Euro unterstützen und ich werde dafür werben, dass es mir noch möglichst Viele nachtun.


Wissenschaft die Unwissen schafft (NW vom 12.Mai)

 Es ist schon sonderbar, wer sich heutzutage alles Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin nennen darf ohne laut verlacht zu werden. Meine kl...