16/05/2022

Wissenschaft die Unwissen schafft (NW vom 12.Mai)

 Es ist schon sonderbar, wer sich heutzutage alles Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin nennen darf ohne laut verlacht zu werden. Meine kleine Heimatzeitung hat mit einem gewissen Professor Peter Fäßler von der Universität Paderborn gesprochen. Interviewt wurde der Herr Professor von Alexander Graßhoff, dem man vorab schon mal einen Welpenschutz zuordnen sollte. 

Ich erwähne das nur, damit der Rezipient ein Verständnis bekommt für das wirre durcheinander und den zwanghaften Versuch dem Zeitgeist zu entsprechen. Graßhoff muss sich schliesslich seine Sporen noch verdienen, ist doch erst seit November letzten Jahres festes Mitglied der Lokalredaktion Höxter bei meiner kleinen Heimatzeitung.  Und wenn man mit einem etwas über halbseitigem Text auf Seite drei durchdringen will, dann muss schon etwas Zeitgeist mithelfen - da kann man sich nicht durch Texte, die von den Lesern etwas intelligentes Mit- und Nachdenken verlangen, hervortun.

Graßhoff bemüht da lieber seit langem festgeklopfte Meinungen und durch ständiges wiederholen fast schon zu Tatsachen mutierte Einschätzungen. So fragt er: "Wird sich der Konflikt ausweiten?" Eine Frage die insistiert, der Konflikt weite sich von selbst, aus sich heraus, ohne Zutun irgendjemandes aus. Er weiß genau, dass der Westen seit Jahren an der Eskalationschraube dreht, und das jede Umdrehung Die Welt näher an den Abgrund bringt. Weil er das aber nicht sagen darf, tut er so als sei der Konflikt ein Krebsgeschwür , das aus sich heraus eine Eigendynamik entwickelt, die es späteren Generationen, falls es sie denn geben wird, erlaubt die Schuld am Untergang dem Konflikt selbst zuzuschieben.

Die zweite Frage die Graßhoff seinem Interview voranstellt ist ebenso nebulös formuliert: "Was ist wenn Natostaaten attackiert werden? Was meint er mit dem Wort attackiert? Meint er Sanktionen, meint er Blockaden oder meint er militärische Angriffe der Territorien von Natostaaten? Und, warum sollten Natostaaten attakiert werden. Ein solcher Fall ist in der Geschichte der Nato weder dokumentiert noch vorgekommen, Andersherum wird viel eher ein Schuh daraus. Verträge werden nicht eingehalten, Grenzen nicht respektiert und das Gebot des Gewaltverzichts im Umgang der Staaten miteinander wird aufs gröbste verletzt. Bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen: Siehe Serbien, Afghanistan, Georgien, Libyen, Syrien.

Die dritte Frage Graßhoffs soll nun den Wissenschaftler Fäßler ins Spiel bringen: Zwei Weltkriege habe die Menschheit bereits erlebt Weltkrieg 1 von 1914 bis 1918 und Weltkrieg 2 von 1939 bis 1945, welche Parallelen und welche Unterschiede würden Historiker erkennen beim Blick auf die Anfänge. Was jetzt das Ganze nun mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben soll scheint selbst Fäßler unbegreifbar. Er befasst sich erst gar nicht mit den Anfängen der Völkerschlachten des 20. Jahrhunderts sondern kommt gleich auf den Kern, den Sinn und Zweck des Artikels. 

Große Verbitterung habe nach dem Versailler Vertrag geherrscht ob der verlorenen Weltmachtstellung Deutschlands - besonders bei der politisch äußersten Rechten. Und nun wird der Vergleich von Putin mit Hitler von einem holprigen Feldweg zu einer breiten asphaltierten Schnellstraße. 1991 habe die Sowjetunion aufgehört zu existieren. Daraufhin wurden "Teile der Welt neu geordnet". Schlampiger kann man nicht argumentieren und spätestens hier wäre es an der Zeit gewesen dem Herrn Professor das Wort zu entziehen. 

Aber Graßhoff läßt den "Wissenschaftler" Fäßler weiter spintisieren. Auch Putin wolle gleich der damaligen äußersten deutschen Rechten die Zeit zurückdrehen. Er sei ähnlich wie Hitler von Großmachtfantasien getrieben.

Wie zu erwarten von einem "Wissenschaftler" von der Qualität und Sachlichkeit eines Herrn Gräßler nicht anders zu erwarten, führt der Mann natürlich keinerlei Belege seiner steilen These an, sondern kommt gleich mit der nächsten historischen Unzumutbarkeit: "Wollte Hitler Österreich 'Heim ins Reich' holen, spricht Putin der Ukraine die Eigenständigkeit ab.

Gänzlich unerträglich wird Fäßlers Vergleich des von Hitler inszenierten angeblichen Überfall Polens auf den Sender Gleiwitz mit dem tagtäglichen, 8 Jahre währenden Bombardement der Ukraine von zivilen Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern, also der eigenen Bevölkerung Donbass. Fäßler nimmt diese immerhin 14.000 Menschenleben geforderten Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis. Graßhoff betitelt diesen Abschnitt seines Textes mit "Lug und Betrug" - wie recht er damit hat, scheint er nicht einmal zu ahnen.

Wenden wir uns ab von den verquasten Auffassungen Fäßlers. Ein Zuwachs an Erkenntnis scheint unmöglich, angesichts des Professors kritiklosem Vorlesens seiner bestimmt zahlreichen Spickzettel aus Politik, Presse und Wirtschaft. 

Aber auch die zweite Geschichtskoryphäe aus der Ostwestfälischen Provinz von Graßhoff flugs aus der Tasche gezogen, diesmal ist der Brötchengeber die Uni Bielefeld, Christina Morina, hat außer Geschichtsklitterung nichts anzubieten. Behauptet die Dame doch allen Ernstes, die Nato sei ein reines Verteidigungsbündnis und "grundsätzlich nicht auf eine offensive, eskalierende Logik hin angelegt". Hier erübrigt sich wohl jeder Kommentar.

So richtig ins Lügen geraten versucht Morina uns gleich den nächsten Bären aufzubinden: "Wir sind heute wesentlich besser informiert...". Das Verb informieren kommt vom lateinischen informare, was so viel wie bilden, unterrichten bedeutet. Wer nur ein wenig in der deutschen Medienwelt unterwegs ist, der weiß, das der Informationswert der heutigen Zeitungen und Zeitschriften, von Rundfunk und Fernsehen gegen Null tendiert, sondern vielmehr das Gegenteil von Information, nämlich übelste Propaganda liefert. 

Wie wenig Morina selbst in der täglichen Informationsoligarchie unterwegs ist zeigt ihre Behauptung: Von der teils heftigen Kriegsbegeisterung, etwa am Vorabend des ersten Weltkriegs, sei man heute im Westen weit entfernt. 100 Milliarden Euro für Rüstung, eine Art Kriegsanleihe, im deutschen Parlament in wenigen Minuten bewilligt, eine zusätzliche jährliche Rüstungsausgabe von über 2% des Bruttosozialproduktes, also des Wertes der gesamten erzeugten Waren und Dienstleistungen Deutschlands und eine Stimmung in der Bevölkerung, die dem alten Wahlspruch "jeder Schuss ein Russ" in nichts nachsteht ist keine Kriegsbegeisterung?

Aber wenn wir in den unendlich hellen Blitz gesehen haben ist es nicht nur mit der Kriegsbegeisterung, ja Kriegslüsternheit auf einen Schlag vorbei - mit allem anderen allerdings auch.



25/04/2022

Meine kleine Heimatzeitung

 Was ist aus meiner kleinen Heimatzeitung geworden? Sie gehörte doch irgendwie dazu, zu meinem Leben. Sie war Mitglied unserer Familie. Mein Großvater hatte ihre Vorgängerin, die "Freie Presse" abonniert, meine Eltern waren viele Jahre lang Leser des gleichen Blattes. Das gehörte sich so als Mitglied der SPD. Und ich, ich bin nunmehr seit Anfang der 70er Jahre, mit einem Jahr Unterbrechung Abonnent der NW. Sie wissen schon, als SPD-Mitglied gehört sich das so. Dann aber kam der große Bruch. Die SPD ist "aus mir ausgetreten" wie Albrecht Müller es einmal formulierte. Ich kann mich noch erinnern, wie ich eines schönen Frühlingstages in der Sonne saß, und mich langsam das Gefühl beschlich, alleingelassen worden zu sein, alleingelassen von meiner Partei im Kampf gegen die soziale Kälte des Neoliberalismus. 2002 hatte ich noch hoch engagiert Wahlkampf gemacht, war praktisch jeden Tag auf der Straße, hatte Plakate geklebt, Flyer verteilt, damit Schröder Kanzler bleiben konnte.

 Jetzt saß ich auf dieser sonnenbeschienenen Bank und begann zu frösteln. Gerhard Schröder, mein Bundeskanzler bastelte an seinen neuen Sozialgesetzen. Menschen sollten fortan für einen Euro pro Stunde arbeiten, sie sollten, egal was sie einmal gelernt hatten, jeden Job annehmen, der ihnen angeboten wurde, egal zu welchem Lohn, egal an welchem Ort dieser Republik, sie sollten selbst für ihre Rente nach einem langen Arbeitsleben vorsorgen, mit mindestens fünf Euro pro Monat. Nach über einem Jahr Arbeitslosigkeit wurde ihnen, egal wie lange sie geschuftet hatten und in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hatten, mit einem, dem sogenannten HartzIV-Satz abgespeist werden. Die Arbeitnehmer wurden von meiner Partei und von meinem Kanzler zu Arbeitssklaven degradiert.

Ich habe dann noch eine Weile in meiner Partei, der SPD gegen diesen sozialen Kahlschlag gekämpft. Als ich dann merkte, daß in den Gremien plötzlich die Ansicht vorherrschte, alle Arbeitslosen seien verantwortungslose Schnorrer (der damalige Vorsitzende der Partei, Müntefering: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" habe ich schweren Herzens die einzig mögliche Konsequenz gezogen und habe die Partei, die aus mir ausgetreten war nach dreißig Jahren Mitgliedschaft verlassen.

Meine Zeitung hatte flugs die Wende der SPD, hin zum Neoliberalismus mitvollzogen. Ich habe versucht mit ihr in eine Diskussion zu kommen, habe Briefe geschrieben, habe Beschwerde geführt und bin verlacht worden. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der heutigen Zeit fällt mir auf. Etwas, das Monate zuvor noch undenkbar war, war plötzlich Staatsmeinung und wer dagegen ansprach, anschrieb, ankämpfte, wurde schnell zur Persona Non Grata. Für das Alles haben wir dann 2008 - 2009 alle bitter bezahlt. Und plötzlich war niemand mehr zu finden, von den Mietmäulern und den Mietfedern. Die seit Jahren hofierten "Investoren" wurden über Nacht zu Heuschrecken.

Ich blieb meiner kleinen Zeitung treu - weniger aus Überzeugung, mehr, weil es zu den Kommunalnachrichten keine echte Alternativen gab. Meine Informationen zur großen weiten Welt holte ich mir schon längst aus dem Internet, las viele Bücher. Ich blieb ihr trotzdem treu, weil eine Zeitung, also eine richtige Zeitung gedruckt auf Papier, sie gehört einfach dazu : Morgens ein, zwei Tassen Kaffee und das rascheln der Seiten, beim umblättern. Jeden Monat ist mir dieses Stück Lebensgefühl 43,90 Euro wert. 

 Das macht im Jahr knapp 527 Euro, liebe Redaktion, etwas über einen halben Tausender, für ein mehr oder weniger zusammengeschustertes Blatt: Die Weltnachrichten liefern die Agenturen, der Deutschlandteil wird im etwas mehr als hundert Kilometer entfernten Hannover, beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, das der Madsackgruppe zugehörig ist verfasst. Nur die kommunalen Berichte werden wirklich noch in der Redaktion in Bielefeld zusammengeklöppelt und haben häufig den Anschein und die Qualität eines Schulaufsatzes.

Nun ist es Zeit zu gehen. Das Abo ist gekündigt, der Bankeinzug ebenfalls, aber die kleine Heimatzeitung will mich nicht gehen lassen. Drei weitere quälende Monate muss ich den Briefkasten leeren, die Schlagzeilen überfliegen und manchmal, wenn mir gänzlich unglaubliche, meist kommentierende Artikel, ins Auge springen, dann kann ich nicht anders und lese. Und dann weiss ich, dass ich den richtigen Schritt gemacht habe. Immer mehr setzt sich der Einfluss der angeblich bürgerlichen, liberalen, in Wirklichkeit aber stramm rechtskonservativ orientierten Madsackgruppe durch.

Für den Krieg in der Ukraine ist ausschliesslich Russland verantwortlich, so trommelt das Blatt, dass früher einmal mein Blatt war, jeden Morgen in mein Gehirn. Waffen müssen her um Putin zu schlagen, oder wie unsere Aussenministerin sagt: Russland zu ruinieren. Das dieser Krieg bereits seit 2014 herrscht, dass die Ukraine mit schwerer Artillerie auf die eigene Bevölkerung schiesst, Bomben aus Flugzeugen abwirft, auf Schulen, Kindergärten und Wohnsiedlungen seit dem 14. April 2014 wird von meiner kleinen Heimatzeitung, wie von allen anderen Blättern, von Fernsehen und Rundfunk einfach nicht gemeldet. Nach der Logik dieser "Journalisten" existiert nur das, was von ihnen vermeldet wird. Eine Wirklichkeit gedruckt auf Papiergesendet in Bits und Bytes. Aber die Toten , 14.000 an der Zahl seit 2014, die Verletzten, die Traumatisierten sind nicht auf billiges Zeitungspapier gedruckt - sie existieren, leiden.

Zensur ist nicht nur das Streichen unliebsamer Nachrichten, Zensur ist auch weglassen. Und deshalb, liebe kleine Heimatzeitung will und werde ich euch nicht mehr mit meinem monatlichen 43,90 Euro unterstützen und ich werde dafür werben, dass es mir noch möglichst Viele nachtun.


Wissenschaft die Unwissen schafft (NW vom 12.Mai)

 Es ist schon sonderbar, wer sich heutzutage alles Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin nennen darf ohne laut verlacht zu werden. Meine kl...